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Die Falsche Schildkrötensuppe (Mock Turtle Soup) ist eine kulinarische Kuriosität, die aus der Not und der Eitelkeit der europäischen Oberschicht des 18. und 19. Jahrhunderts geboren wurde. Während die klassische Mock Turtle Soup mit Kalbskopf und einer dunklen, mit Madeira oder Sherry verfeinerten Fleischbrühe hergestellt wurde, existierte in der Historie auch die milchbasierte Variante. Diese Abwandlung ist ein faszinierendes Beispiel für die Anpassungsfähigkeit der Küche an regionale Gegebenheiten und Armut.

Herkunft und Funktion: Ersatz der Ersatz-Delikatesse

Die Geschichte beginnt mit der echten Schildkrötensuppe (Turtle Soup), die im 18. Jahrhundert in Großbritannien zur „Königin der Suppen“ avancierte. Sie war ein Statussymbol, dessen Rohstoff – die Grüne Meeresschildkröte – durch Überjagung extrem teuer und selten wurde.

Die Falsche Schildkrötensuppe wurde als wirtschaftlicher Ersatz erfunden und nutzte Kalbskopf (dessen zarte Textur die des Schildkrötenfleischs imitieren sollte) als Einlage.

Die Milchvariante:

Die uns hier interessierende milchbasierte Version ist eine noch stärkere Abwandlung, die historisch oft in Regionen oder Haushalten aufkam, in denen:

  1. Fleischbrühe zu teuer oder nicht verfügbar war (Armenküche, Klöster).
  2. Ein besonders milder Geschmack oder eine vegetarische Annäherung gewünscht wurde.
  3. Die Notwendigkeit bestand, eine sämige Textur zu erzeugen, ohne auf teure Bindemittel wie Mehlschwitzen oder Demi-Glace zurückzugreifen, indem man Eigelb und Milch als Basis verwendete.

Das Ziel war, die exotischen und würzigen Noten (Zitrone, Muskatnuss, Gewürze) der Original-Schildkrötensuppe in einem hellen, cremigen Träger zu präsentieren.

Verbreitung

Die Mock Turtle Soup selbst wurde durch die Personalunion zwischen Großbritannien und dem Königreich Hannover auch in Norddeutschland (speziell im Ammerland und Oldenburg) sehr populär.

Die spezifische Milch- oder Eierbasis-Variante war weniger in den städtischen Hochküchen als vielmehr in den regionalen und ländlichen Küchen verbreitet, wo Milch und Eier oft leichter verfügbar waren als hochwertige Kalbsknochen und Madeirawein. Diese Varianten verschwanden jedoch weitgehend mit der Zeit zugunsten der klassischen, dunklen Brühe-Version, die uns heute noch als Ammerländer Mockturtle bekannt ist.


Rezeptvorschlag: Falsche Schildkrötensuppe (Milchbasis, vegetarische Annäherung)

Da die echte, traditionelle Milchvariante oft ohne Kalbskopf auskommen musste, konzentriert sich dieses Rezept auf die Bindung durch Eigelb und die aromatische Würzung, um eine „falsche“ Eleganz zu erzeugen.

Zutaten (für 4 Personen)

  • 750 ml Vollmilch
  • 250 ml Gemüsebrühe
  • 4 Eigelb (Größe M)
  • 50 ml Weißwein (trocken, optional)
  • 1 EL Butter
  • 1 EL Mehl (zur leichten Bindung)
  • Würzbasis: Saft und Abrieb einer halben Bio-Zitrone
  • Gewürze: Salz, weißer Pfeffer, eine Prise Cayennepfeffer, eine Prise Muskatnuss
  • Einlage (zur Textur): 50 g kleine Grießklößchen oder feine Nudeln (z.B. Sternchen)

Zubereitung

  1. Milchbasis erhitzen: Brühe und Milch in einem Topf sanft erhitzen.
  2. Bindung vorbereiten: In einer separaten Schüssel die Eigelbe verquirlen. Nehmen Sie eine Kelle der warmen Milchmischung und geben Sie sie unter ständigem Rühren langsam zu den Eigelben (temperieren), um ein Gerinnen zu verhindern.
  3. Andicken: Geben Sie die temperierte Eigelbmischung langsam unter Rühren zur restlichen Milchmischung in den Topf zurück. Wichtig: Die Suppe darf danach nicht mehr kochen, da das Eigelb sonst stockt.
  4. Aromatisieren: Fügen Sie nun den Zitronenabrieb, den Zitronensaft, den Weißwein (falls verwendet) und die Gewürze (Muskat, Cayennepfeffer) hinzu. Schmecken Sie mit Salz und Pfeffer kräftig ab. Die Suppe sollte eine leicht säuerliche und würzige Note haben.
  5. Einlage: Kochen Sie die Grießklößchen oder Nudeln separat und geben Sie sie zur Suppe. Die stärkehaltige Einlage verleiht der Suppe die nötige Textur, die an die Fleischstücke der Originalsuppe erinnern soll.

Tipp: Für eine reichhaltigere Textur kann man die Butter mit dem Mehl zu einer leichten Mehlschwitze anfertigen und diese vor dem Eigelb als zusätzliche Bindung verwenden. Serviert wird die Suppe am besten mit einem Hauch von gehacktem Dill oder Petersilie.