Wer schon einmal in Spanien war, weiß: Hier wird das Essen zelebriert. Große Familienessen, lange Mittagspausen und Tapas-Abende sind feste Rituale. Und wo viel gekocht wird, bleiben manchmal auch Reste. Aber in Spanien landen die nicht einfach im Müll! Ganz im Gegenteil: Die spanische Küche ist eine Meisterin darin, aus dem, was gestern übrig blieb, ein neues, köstliches Gericht für heute zu zaubern. Das ist nicht nur nachhaltig, sondern oft auch überraschend kreativ und lecker.
Diese „Cocina de Aprovechamiento“ (Küche der Verwertung) ist tief in der spanischen Tradition verwurzelt. Hier geht es darum, nichts zu verschwenden und gleichzeitig mit einfachen Mitteln das Beste aus den vorhandenen Zutaten herauszuholen. Und das Ergebnis? Oft Gerichte, die so beliebt sind, dass sie längst ihren Status als „Resteessen“ abgelegt haben und eigenständige Klassiker geworden sind.
Die Stars der spanischen Reste-Küche:
1. Croquetas (Kroketten)
Das ist wohl der unangefochtene Champion der spanischen Reste-Küche! Croquetas sind kleine, knusprige Wunderwerke, die oft aus dem Besciamella (Béchamelsauce) vom Vortag und den darin „versteckten“ Resten bestehen.
- Typische Reste: Gekochtes Fleisch von einem Eintopf (z.B. Cocido), Brathähnchen, Schinkenreste, Pilze oder sogar Fisch.
- Zubereitung: Die Béchamelsauce wird mit den zerkleinerten Resten vermischt, abgekühlt, zu kleinen Rollen oder Kugeln geformt, paniert und dann goldbraun frittiert. Das Ergebnis ist außen knusprig und innen cremig-würzig.
- Besonderheit: Es gibt unzählige Variationen. Die beliebtesten sind Croquetas de Jamón (Schinken) oder Croquetas de Pollo (Hähnchen). Ein wahrer Genuss als Tapa oder Vorspeise.
2. Ropa Vieja („Alte Kleidung“)
Der Name mag skurril klingen, aber dieses Gericht ist ein Fest für die Sinne und ein Paradebeispiel für die Verwertung von Resten. „Ropa Vieja“ ist im Grunde ein Gericht aus geschmortem Fleisch, das vom Vortag übrig geblieben ist.
- Typische Reste: Gekochtes Rindfleisch (oft vom Cocido oder einem anderen Schmorgericht).
- Zubereitung: Das bereits zarte, gekochte Rindfleisch wird faserig zerzupft und dann mit Zwiebeln, Paprika, Knoblauch und Tomaten (oder Tomatensauce) in einer Pfanne geschmort, bis sich alle Aromen verbinden. Oft kommen noch Kichererbsen, Kartoffeln oder Reis dazu.
- Besonderheit: Obwohl in Spanien beliebt, ist dieses Gericht auch in Lateinamerika, insbesondere Kuba, ein Nationalgericht, was die engen historischen Verbindungen unterstreicht.
3. Arroz al Horno (Reis aus dem Ofen) / Arroz con Costra (Reis mit Kruste)
Reisgerichte sind in Spanien allgegenwärtig, und oft wird der Reis vom Vortag geschickt wiederverwendet, um neue Gaumenfreuden zu schaffen.
- Typische Reste: Gekochter Reis, übrig gebliebenes Fleisch (Huhn, Kaninchen, Wurst), Gemüse.
- Zubereitung: Der Reis und die Fleisch- oder Gemüsereste werden in einer feuerfesten Form geschichtet, oft mit Brühe aufgegossen und im Ofen gebacken, bis eine schöne Kruste entsteht.
- Besonderheit: Besonders in der Region Valencia ist Arroz al Horno beliebt. Eine weitere Variante ist Arroz con Costra (Reis mit Kruste), bei dem nach dem Backen noch Eier über den Reis gegeben und fertig gebacken werden, sodass eine goldene „Kruste“ aus Ei entsteht.
4. Migas (Brotreste)
Migas, was wörtlich „Krümel“ bedeutet, ist ein rustikales Gericht, das auf der Verwertung von altem Brot basiert – ein Schatz in Zeiten, in denen jedes Lebensmittel kostbar war.
- Typische Reste: Altes, hartes Brot (gerne vom Vortag oder älter).
- Zubereitung: Das alte Brot wird in kleine Stücke gebrochen oder geschnitten und dann in Olivenöl mit Knoblauch, Paprika und oft auch Speck oder Chorizo langsam geröstet, bis es knusprig wird.
- Besonderheit: Migas ist ein sehr sättigendes Gericht, das früher oft von Hirten oder Landarbeitern gegessen wurde. Es gibt regionale Unterschiede; in Andalusien werden sie oft mit Trauben gegessen, in anderen Regionen mit Spiegelei oder gebratenem Paprika.
5. Tortilla Española (Spanische Tortilla)
Obwohl die Tortilla Española in erster Linie ein eigenständiges Gericht ist, ist sie auch ein Meisterwerk der Resteverwertung, da sie eine perfekte Bühne für das bietet, was der Kühlschrank hergibt.
- Typische Reste: Gekochte Kartoffeln, angebratene Zwiebeln, aber auch gekochtes Gemüse, Schinken, Chorizo oder sogar Fisch.
- Zubereitung: Eier werden verquirlt und mit den Resten (typischerweise Kartoffeln und Zwiebeln, die in Olivenöl weich gegart wurden) vermischt. Das Ganze wird dann in einer Pfanne zu einem dicken Omelett gebacken und oft gewendet, um von beiden Seiten goldbraun zu werden.
- Besonderheit: Die Tortilla ist unglaublich vielseitig und kann warm oder kalt genossen werden, als Hauptgericht, Tapa oder Sandwichfüllung. Jede Familie hat ihr eigenes Geheimrezept und ihre bevorzugten „Restezutaten“.
Diese Gerichte sind ein Beweis dafür, dass die Notwendigkeit des Nicht-Verschwendens oft zu den köstlichsten und kreativsten kulinarischen Erfindungen führt. Sie erzählen Geschichten von Sparsamkeit, Genialität und der tiefen Wertschätzung für Lebensmittel, die in der spanischen Kultur so präsent ist. Es ist eine Küche, die uns lehrt, den Blick für das Potenzial im Vergangenen zu schärfen und daraus etwas Neues und Wunderbares entstehen zu lassen.