In der öffentlichen Debatte scheint eine Wahrheit in Stein gemeißelt: Steigen die Preise, ist es die Gastronomie, die die Gabel zu hoch hält. Ob Schnitzel, Cappuccino oder das Feierabendbier – die Branche wird als Preistreiberin schlechthin gebrandmarkt. Der Gast schimpft über die „Abzocke“, die Politik murmelt von „Verantwortung“, und die Branche selbst steht im Kreuzfeuer.
Dabei wird oft übersehen: Die Gastronomie ist nicht die Ursache des Problems, sondern ein durch Corona und Kostenexplosionen gebeuteltes Ökosystem, das ums Überleben kämpft. Der große Lackmustest steht nun bevor: Die Rückkehr des vollen Mehrwertsteuersatzes.
Die Große Inflation der Vorwürfe: Wer zahlt für die Krise?
Es ist bequem, den Gastronomen als gierigen Gewinner der Krise darzustellen. Doch diese Sicht ignoriert die ökonomische Realität:
- Die Corona-Kerbe: Die Pandemie war für viele Betriebe ein ökonomischer Tiefschlag. Ein bis zwei volle Jahresumsätze gingen verloren. Diese Lücken sind nicht mit einem „tollen Team“-Gutschein zu stopfen, sondern müssen über Jahre hinweg aufgeholt werden.
- Die Kosten-Schockwelle: Kaum waren die Türen wieder offen, rollte die Welle der Kostensteigerungen: Energie, Löhne (Mindestlohn), Pacht und vor allem die Lebensmittelpreise schossen in die Höhe. Während der Discounter beim Einkauf in großen Mengen noch verhandeln kann, trifft es den Einzelunternehmer direkt und ungemindert.
- Die halbierten Gewinne: Die von Ihnen genannte Realität, dass Gewinne für Investitionen bei kleineren Betrieben teils halbiert wurden, ist der Schlüssel. Das Geld fehlt nicht, weil der Chef eine neue Yacht bestellt hat, sondern weil die Betriebskosten die Marge aufgefressen haben. Ohne Marge keine notwendige Modernisierung, keine fairen Löhne und keine Zukunftssicherheit.
Der Lackmustest: Was passiert bei 19 Prozent Mehrwertsteuer?
Die temporäre Absenkung der Mehrwertsteuer auf Speisen von 19 % auf 7 % sollte der Branche während der Corona-Folgen helfen. Nun droht die Rückkehr zum alten Satz – und damit das große ökonomische Drama.
Was viele Gäste (und manche Politiker) erwarten: Die Preise steigen nur minimal, denn der Gastronom muss ja „nur“ die Differenz weitergeben.
Was in der Realität passieren wird (Das unhumorvolle Rechenexempel):
Der Gastronom muss nicht nur die 12 Prozentpunkte Differenz weitergeben, sondern auch die seit Corona angefallenen, unkompensierten Kostensteigerungen für Energie, Löhne und Ware.
- Der Preis-Schub: Ein Gericht, das heute 15,00 € kostet, müsste bei 19 % Mehrwertsteuer rein rechnerisch auf 16,63 € steigen.
- Die Notwendigkeit: Um aber auch die seit zwei Jahren aufgelaufenen realen Mehrkosten (die man bisher geschluckt hat) zu kompensieren, wird der Preis oft auf 17,50 € oder 18,00 € angehoben werden müssen.
Dieser notwendige Sprung wird in der Öffentlichkeit als „dreiste Abzocke“ interpretiert – obwohl es nur das Einkassieren des Rechnungsbetrages für die lange aufgeschobene Liquiditätssicherung ist.
Die Ironie der Schuldzuweisung: Der Frust trifft den Falschen
Die eigentliche Ironie liegt in der Schuldverschiebung. Der Gastronom, der versucht, seine Mitarbeiter fair zu bezahlen, die Miete zu begleichen und frische Ware zu kaufen, wird zum Feindbild der Inflation.
- Humor-Moment: Man könnte fast Mitleid haben, wenn die Meldungen nicht so zynisch wären. Der Gastronom ist der einzige Akteur in der gesamten Wirtschaftskette, der die Sünden aller anderen (die steigenden Energiepreise, die steigenden Löhne, die steigenden Lebensmittelpreise) am Ende persönlich am Kassentresen ausbaden muss. Er ist der Blitzableiter für den gesamten Frust der Inflation.
Die Wahrheit ist: Die Gastronomie ist das letzte Glied in der Kette, das die Preise erhöht – und das oft nur unter Zwang. Die Schuld für die Teuerung auf die Schultern der gebeutelten Wirte zu laden, ist nicht nur unfair, sondern ökonomisch unsachlich. Es ist der einfache Weg, die komplexen Probleme der Inflation zu personifizieren. Und das, liebe Gäste, ist wirklich kein Grund zum Feiern.

