Stellen Sie sich eine festlich gedeckte Tafel in Osteuropa vor: Gläser klirren, Gelächter erfüllt den Raum, und das Zentrum der Aufmerksamkeit sind nicht nur die Hauptgerichte, sondern eine Fülle kleiner, verlockender Köstlichkeiten, die den Tisch über und über bedecken. Das ist die Welt der Sakuski (oder Zakuski) – die slawischen Häppchen und Vorspeisen, die weit mehr sind als nur Appetitanreger. Sie sind ein Ausdruck von Gastfreundschaft, ein Ritual des Genusses und der Beginn einer jeden richtigen Feierlichkeit.
Herkunft und Bedeutung: Ein kulinarisches Ritual
Der Begriff Sakuski (закуски) stammt aus dem Russischen und bedeutet wörtlich „kleine Bissen“ oder „Snacks“. Doch ihre Bedeutung reicht weit über diese einfache Übersetzung hinaus. Sakuski sind ein fester Bestandteil der slawischen Esskultur, insbesondere in Russland, der Ukraine, Polen (dort oft als Zakąski oder Przystawki), Belarus und den baltischen Staaten.
Ihre Tradition ist tief in der Geschichte verwurzelt, als man nach dem Genuss eines Glases Wodka eine Kleinigkeit zu sich nahm, um den Magen zu beruhigen und den Alkohol besser zu vertragen. Doch mit der Zeit entwickelten sich die Sakuski zu einem eigenständigen, komplexen Bestandteil der Mahlzeit. Sie sind nicht nur Vorspeisen im westlichen Sinne, sondern eine Fülle von kleinen Gerichten, die dazu einladen, gemeinsam zu probieren, zu teilen und in geselliger Runde zu verweilen, oft bevor das eigentliche Hauptgericht serviert wird – oder sogar als eigenständiges Buffet.
Sie spiegeln die russische Vorstellung von „изобилие“ (Issobilie – Überfluss) wider: Ein reich gedeckter Tisch signalisiert Wohlstand und Großzügigkeit des Gastgebers.
Vielfalt und Varianten: Ein Kaleidoskop des Geschmacks
Die Welt der Sakuski ist unglaublich vielfältig und reicht von einfachen bis zu kunstvollen Kreationen. Hier sind einige der typischsten und beliebtesten Varianten:
- Eingelegtes und Fermentiertes: Dies ist das Herzstück vieler Sakuski-Tische.
- Salzgurken (Solyonye Ogurtsy/Ogórki kiszone): Knackig, sauer, oft mit Dill und Knoblauch eingelegt. Ein absoluter Klassiker.
- Eingelegter Kohl (Kvashenaya Kapusta): Sauerkraut, oft mit Karotten und Kümmel.
- Eingelegte Pilze: Verschiedene Pilzsorten, eingelegt in Essig oder Öl.
- Tomaten, Paprika, Auberginen: Ebenfalls oft eingelegt oder mariniert.
- Fisch in allen Variationen:
- Hering (Selyodka): Eingelegter oder geräucherter Hering, oft mit Zwiebeln und Öl. Die Grundlage für „Hering im Pelzmantel“ (Schuba).
- Geräucherter Lachs/Stremellachs: Fein geschnitten, oft mit Zitrone.
- Ikra (Kaviar): Roter (Lachs) oder schwarzer (Stör) Kaviar, pur auf Blinis, Toast oder mit Creme fraîche.
- Sprats (Szprot): Kleine geräucherte Sprotten, oft auf Brot serviert.
- Fleisch und Wurstwaren:
- Wurstaufschnitt (Kolbasa): Verschiedene Sorten geräucherter oder gekochter Wurst.
- Salo (gesalzener Schweinespeck): Besonders in der Ukraine und Russland beliebt, dünn geschnitten, oft mit Knoblauch und Brot.
- Gekochtes Rind- oder Schweinefleisch: Kalt aufgeschnitten.
- Aspik/Sülze (Kholodets/Zimne Nogi): Fleisch in Gelee, oft mit Knoblauch.
- Salate und Aufstriche:
- Salat Olivier (Olivier-Salat): Ein Kartoffelsalat mit Erbsen, Eiern, Karotten, Gurken und Fleisch (Huhn, Wurst oder Rind) in Mayonnaise. Ein Muss an Silvester.
- Vinaigrette (Vinegret): Ein bunter Rote-Bete-Salat mit Kartoffeln, Karotten, Gurken und Öl.
- Liptauer (Liwter): Obwohl österreichisch-ungarisch, sehr beliebt in angrenzenden Regionen.
- Pâtés und Aufstriche: Leberpasteten oder vegetarische Aufstriche.
- Brot und Beilagen:
- Roggenbrot (Čornyj Khleb): Dunkles Sauerteigbrot, perfekt zu allen salzigen Sakuski.
- Blinis: Kleine, dicke Pfannkuchen, die sowohl süß als auch herzhaft (mit Kaviar, Lachs) gegessen werden.
- Kartoffeln: Kleine gekochte Kartoffeln, oft mit Dill und Butter.
Ein Rezept: Eingelegte Gurken nach russischer Art (Solyonye Ogurtsy)
Diese Gurken sind der Inbegriff von Sakuski und lassen sich erstaunlich einfach zu Hause zubereiten.
Zutaten (für ca. 2 Liter):
- 1 kg kleine Einlegegurken (oder Landgurken, ca. 10-15 cm lang)
- 3-4 Knoblauchzehen, halbiert
- 2-3 Dilldolden (oder 1 Bund frischer Dill mit Stielen)
- 2-3 Kirschblätter oder Johannisbeerblätter (optional, für Knackigkeit und Aroma)
- 1 kleines Stück Meerrettichwurzel (ca. 2-3 cm), geschält und in Scheiben
- 1 TL schwarze Pfefferkörner
- 1/2 TL Senfkörner
- Für die Salzlake:
- 1 Liter Wasser
- 2 EL Salz (ohne Jod, z.B. Meersalz oder Kochsalz)
- 1 TL Zucker (optional, für die Fermentation)
Zubereitung:
- Gurken vorbereiten: Die Gurken gründlich waschen. Die Enden abschneiden. Falls die Gurken nicht direkt frisch vom Feld kommen, empfiehlt es sich, sie für 2-3 Stunden in eiskaltes Wasser zu legen. Das macht sie knuspriger.
- Gläser sterilisieren: Einmachgläser und Deckel gründlich sterilisieren (z.B. im kochenden Wasserbad für 10 Minuten oder im Backofen bei 120°C für 15 Minuten).
- Gläser befüllen: Auf den Boden jedes sterilisierten Glases die Hälfte der Knoblauchzehen, Dilldolden (oder die Hälfte des Dills), Blätter, Meerrettichscheiben, Pfeffer- und Senfkörner legen.
- Gurken einschichten: Die vorbereiteten Gurken dicht in die Gläser schichten. Obenauf den restlichen Knoblauch, Dill und die anderen Gewürze geben.
- Salzlake vorbereiten: Wasser, Salz und optional Zucker in einem Topf zum Kochen bringen. Rühren, bis sich Salz und Zucker vollständig aufgelöst haben. Kurz abkühlen lassen, sodass die Lake noch heiß, aber nicht mehr kochend ist.
- Gläser auffüllen: Die heiße Salzlake über die Gurken in den Gläsern gießen, bis die Gurken vollständig bedeckt sind. Achten Sie darauf, dass keine Luftblasen eingeschlossen sind. Falls nötig, vorsichtig mit einem sauberen Messer oder Stäbchen um die Gurken herumfahren, um Luftblasen zu entfernen.
- Fermentieren: Die Gläser lose mit Deckeln verschließen (nicht luftdicht, da bei der Fermentation Gase entstehen). Stellen Sie die Gläser auf einen Teller oder in eine Schale, da etwas Lake überlaufen kann. Die Gläser an einem warmen Ort (Zimmertemperatur, ca. 20-22°C) für 3-7 Tage fermentieren lassen.
- Beobachtung: Nach 1-2 Tagen werden Sie Bläschen sehen und es riecht leicht säuerlich – das ist ein gutes Zeichen! Je länger die Fermentation dauert, desto saurer und intensiver werden die Gurken.
- Lagern: Sobald die Gurken den gewünschten Säuregrad erreicht haben (probieren Sie eine), die Deckel fest verschließen und die Gläser im Kühlschrank lagern. Dort verlangsamt sich der Fermentationsprozess, und die Gurken bleiben knackig und halten sich mehrere Wochen.
Sakuski sind mehr als nur ein Appetithäppchen; sie sind ein Ausdruck von Lebensfreude, Geselligkeit und der reichen kulinarischen Geschichte der slawischen Länder. Sie laden dazu ein, zu verweilen, zu kosten und die Vielfalt der Aromen zu genießen – am besten mit einem kleinen Glas Wodka und in guter Gesellschaft. „Na Zdorovye!“ (Zum Wohl!)