Tnd gastronomie suendenbock preispolitik 04Gastronomie, Sündenbock, Mindestlohn, Energiekosten

Es ist eine gefühlte Wahrheit in der öffentlichen Debatte: Steigen die Lebenshaltungskosten, gerät die Gastronomie als Erstes und lautstark ins Visier. Wenn das Schnitzel plötzlich zwei Euro mehr kostet, schwingt die kollektive Faust der Empörung. Die mediale Darstellung tendiert dazu, die Branche als den Haupttreiber der Inflation darzustellen – als ob die Wirte morgens aufstünden, um zu überlegen, wie sie die Marge mit maximaler Bösartigkeit optimieren können.

Doch die Realität in vielen Restaurants ist weitaus komplexer, chaotischer und – paradoxerweise – oft kreativer. Der wahre Grund für die Preissteigerungen liegt nicht nur in der gestiegenen Mehrwertsteuer oder den explodierten Energiepreisen, sondern auch in einem gigantischen Zusatzaufwand, den die Gastronomen betreiben, um überhaupt noch Gäste anzulocken.

Die goldene Ära der Stillen Teller ist vorbei

Früher reichte es, gutes Essen zu servieren. Die Speisekarte war das Programm. Heute? Heute muss das Restaurant ein Event-Zentrum sein, das um die knappe Freizeit des digital überfütterten Konsumenten buhlt.

Die Gastronomen befinden sich in einer Spirale der Attraktivität, die den Preis des Hauptgangs in absurde Höhen treibt. Das ist die „Erlebnis-Inflation“:

1. 🎶 Der Akustik-Zuschlag: Wenn das Essen zur Nebensache wird

Der neue Standard, um eine Reservierung zu sichern, ist nicht mehr die Qualität des Kalbsschnitzels, sondern das Entertainment-Angebot.

  • Live-Musik am Freitag: Musiker sind keine ehrenamtlichen Hobbyspieler. Eine Live-Band kostet schnell einen dreistelligen, oft sogar vierstelligen Betrag pro Abend. Dieser Aufwand muss über die Getränkepreise oder den Hauptgang subventioniert werden.
  • Der DJ am Samstag: Die Currywurst wird zur „Club-Experience“. Der Gastronom muss seine Räumlichkeiten zur temporären Event-Location umfunktionieren, was Personal für Türsteher und erhöhte GEMA-Gebühren mit sich bringt.
  • Ironie-Faktor: Der Gast, der sich über das teure Bier beschwert, hat vergessen, dass er gerade den Eintritt für das Konzert des lokalen Jazz-Trios im Preis inklusive hat – ob er wollte oder nicht.

2. 🎄 Die Deko-Diktatur: Instagram-tauglich oder Pleite

Essen muss heute nicht nur schmecken, es muss „instagrammable“ sein. Das hat die Dekorationskosten der Branche explodieren lassen.

  • Saisonale Pflicht-Deko: Der Gast erwartet nicht nur einen Christbaum, sondern eine wöchentlich wechselnde, thematische Deko – von der „Oster-Installation“ bis zum „Herbst-Kürbis-Overkill“.
  • Die Beleuchtungs-Frage: Perfektes Licht für Selfies ist Pflicht. Teure Lichttechnik und das ständig nachjustierte Ambiente fressen Budget.
  • Ironie-Faktor: Wir zahlen heute einen Aufpreis auf das Mittagsmenü, weil die Blumensträuße auf dem Tisch zur Marktforschung der Millennials passen müssen. Der Gastronom ist kein Wirt mehr, sondern ein Event- und Interior-Designer mit Kochlizenz.

3. Der Personal-Premium-Aufschlag: Werben mit dem Unmöglichen

Die explizite Werbung mit „Tankgutschein und freiem Wochenende“ ist der Versuch, den Personalnotstand zu kaschieren. Diese Kosten sind keine Gewinnsteigerung, sondern Notwehr.

  • Die Kosten des Wunsches: Jede zugesicherte Work-Life-Balance (die in der Gastro historisch schwer umzusetzen ist) muss durch teures Springer-Personal oder durch schmerzhafte Überstundenzuschläge finanziert werden.
  • Der HR-Krieg: Der deutsche Wirt führt einen kostspieligen HR-Krieg, um Mitarbeiter zu finden, während der Ethno-Konkurrent über das familiäre Netzwerk rekrutiert (siehe vorherige Artikel). Auch diese Mehrkosten landen auf der Rechnung.

Die Schuldfrage

Ja, das Essen ist teurer geworden. Aber es ist ungerecht, die Gastronomie als alleinigen Sündenbock darzustellen. Der Wirt kämpft nicht nur gegen Inflation und höhere Löhne, sondern auch gegen die gestiegene Erwartungshaltung des Konsumenten, der für sein Geld nicht nur einen Teller, sondern ein durchorchestriertes Gesamtkunstwerk aus Unterhaltung, Ästhetik und kulinarischer Perfektion verlangt.

Der Gastronom schlägt die Preise nicht aus Gier auf, sondern weil er den Eintritt für die Zusatzshow berechnen muss – und die Hauptdarsteller sind neben dem Essen die teuer bezahlte Live-Musik und die perfekt beleuchtete Deko-Attraktion.