Sie bestellen einen erfrischenden Cocktail an einem warmen Sommerabend, die Vorfreude steigt. Doch dann steht er vor Ihnen: ein Glas, das zu Dreivierteln mit Eiswürfeln gefüllt ist. Was für viele Bars als gängige Praxis zur „Gewinnmaximierung“ gilt, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als ein rechnerisch fragwürdiges Konzept, das nicht nur den Geldbeutel des Gastes, sondern auch dessen Zufriedenheit unnötig schmälert. Es ist Zeit, einen Mythos zu entlarven: Das Übermaß an Eis ist selten eine Win-Win-Situation.
Der Mythos der Gewinnmaximierung: Eine Rechnung, die nicht aufgeht
Die Logik hinter dem Eis-Overkill scheint auf den ersten Blick bestechend einfach: Weniger Flüssigkeit bedeutet geringere Kosten für teure Säfte und Spirituosen, während der Cocktail optisch an Volumen gewinnt. Doch diese Annahme vernachlässigt einen entscheidenden Faktor: die Kosten des Eises selbst.
Rechnen wir kurz nach: Ein Kilogramm Eiswürfel, das in der Gastronomie oft in großen Säcken gekauft wird, kostet im Einkauf schnell über 2 Euro. In einem typischen Cocktailglas mögen 150 bis 200 Gramm Eis landen – das sind bereits 30 bis 40 Cent pro Glas, allein für das Eis!
Vergleicht man dies mit den Kosten für gekühlten Saft, wird die vermeintliche Ersparnis schnell hinfällig. Ein Liter hochwertiger Fruchtsaft, der den Cocktail tatsächlich füllen und geschmacklich bereichern würde, kostet im Einkauf vielleicht 1,50 bis 2,50 Euro. Selbst wenn man 100 ml zusätzlichen Saft für einen vollwertigen Drink verwenden würde, lägen die Mehrkosten bei gerade einmal 15 bis 25 Cent. Das ist weniger als der Eispreis für dieselbe Menge!
Kurz gesagt: Die zusätzlichen Cent für echten, gekühlten Saft sind oft günstiger als das, was für das überschüssige Eis ausgegeben wird. Die Idee, durch Eis Gewinn zu machen, ist somit ein Rechenfehler, der die wahren Materialkosten ignoriert.
Die Gäste-Perspektive: Verwässerung statt Vergnügen
Für den Gast ist die Rechnung ohnehin eine ganz andere:
- Geschmacksverwässerung: Der offensichtlichste und ärgerlichste Punkt. Ein Cocktail lebt von der Balance seiner Aromen. Wenn das Eis schnell schmilzt – und das tut es in einem warmen Raum oder an einem heißen Sommertag unweigerlich –, verdünnt es den Drink und verwässert den sorgfältig komponierten Geschmack. Was anfänglich ein Genuss war, wird zum geschmacklosen Gebräu.
- Gefühl der Mogelpackung: Wer bezahlt gerne für ein halbleeres Glas? Das Gefühl, für viel Geld hauptsächlich Wasser mit Geschmack zu bekommen, frustriert und hinterlässt einen faden Beigeschmack. Die psychologische Wirkung ist fatal: Statt eines luxuriösen Erlebnisses fühlt sich der Gast betrogen.
- Schneller Konsum, geringere Zufriedenheit: Ja, der Drink ist schnell leer. Aber nicht, weil er so gut war, sondern weil er so wenig Inhalt hatte. Dies führt selten zu einer zweiten Bestellung, sondern eher zum Wechsel der Bar beim nächsten Mal.
Die klügere Alternative: Qualität, Kühlung und Zufriedenheit
Was wäre die Alternative? Ganz einfach:
- Die richtige Temperatur von Anfang an: Säfte und Spirituosen sollten immer gut gekühlt gelagert werden. Ein Drink, der von Grund auf kalt ist, braucht weniger Eis, um seine Temperatur zu halten.
- Weniger, aber besseres Eis: Statt Masse auf Klasse setzen. Größere Eiswürfel oder gar Eisbälle schmelzen langsamer und kühlen effektiver, ohne den Drink sofort zu verwässern.
- Mehr Inhalt, mehr Wert: Ein Cocktail, der das Glas tatsächlich füllt und eine ausgewogene Menge an Flüssigkeit bietet, ist sein Geld wert. Der Gast fühlt sich wertgeschätzt und bekommt das Gefühl, für sein Geld auch etwas zu bekommen.
Die moderne Barkultur geht längst über das reine Füllen des Glases hinaus. Es geht um das Erlebnis, den Geschmack und die Wertschätzung des Produkts und des Gastes. Wer als Barbetreiber langfristig erfolgreich sein will, sollte nicht auf Kosten des Eises sparen, sondern in die Qualität des Gesamtprodukts und die Zufriedenheit seiner Kunden investieren. Denn ein zufriedener Gast kommt wieder – und erzählt es weiter. Und das ist eine Gewinnmaximierung, die tatsächlich funktioniert.