Tnd gastronomie suendenbock preispolitik 04Gastronomie, Sündenbock, Mindestlohn, Energiekosten

Die öffentliche Diskussion zur Inflation in Deutschland neigt dazu, einen klaren Schuldigen auszumachen: die Gastronomie. Steigende Preise für den Mittagstisch oder das Abendessen werden reflexartig als Ausdruck überzogener Gewinnmargen kritisiert. Diese Sichtweise übersieht jedoch die massiven und sich gegenseitig verstärkenden Kostenfallen, denen sich lokale Restaurants, Cafés und Hotels gegenübersehen.

Die Wahrheit ist: Die Gastronomie ist nicht nur Täter, sondern vor allem Opfer eines veränderten Lohngefüges und eines brutalen Wettbewerbs um Personal.

1. Die Spirale der Lohnkosten und der Mindestlohn

Die Einführung und schrittweise Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns war sozialpolitisch notwendig, hat jedoch für die personalintensive Gastronomie, die traditionell mit niedrigen Löhnen kalkulierte, eine massive Kostenwelle ausgelöst.

  • Hohe Personalkostenquote: Die Lohnkosten machen in der Gastronomie einen deutlich höheren Anteil des Umsatzes aus als in vielen anderen Branchen. Steigt der Mindestlohn, vervielfachen sich die Kosten sofort.
  • Der Sog-Effekt nach oben: Um qualifizierte Mitarbeiter (Köche, Fachpersonal) zu halten, muss der gesamte Gehaltsrahmen nach oben angepasst werden, damit die Löne deutlich über dem neuen Mindestlohnniveau bleiben.

2. Der Fachkräftemangel: Die Stunde der finanzstarken Konzerne

Das Kernproblem liegt im Kampf um die knappen Fachkräfte. Hier gerät die lokale Dienstleistungsbranche ins Hintertreffen, da sie mit der Finanzkraft großer Konzerne nicht mithalten kann.

  • Die Lockrufe der Big Player: Logistikzentren, große Industriebetriebe oder der Einzelhandel können – und müssen – heute deutlich höhere Stundenlöhne anbieten, oft inklusive Schichtzuschlägen und Bonuszahlungen.
  • Der Exodus: Ein gelernter Koch oder eine Servicekraft, die in der Gastronomie zu unregelmäßigen Zeiten arbeitet, wechselt schnell zu einem Industrie-Caterer oder in die Logistik, wo sie für bessere Bezahlung geregeltere Arbeitszeiten (freies Wochenende!) und weniger körperliche Belastung finden.
  • Die verlockenden Zahlen: Wenn ein an- oder ungelernter Mitarbeiter bei einem Logistik-Riesen durch hohe Tarifverträge 18 bis 20 Euro pro Stunde verdienen kann, während das lokale Gasthaus mit Mühe 14 bis 16 Euro bietet, wird der talentierte Nachwuchs rigoros abgezogen.

3. Die Konsequenz: Der lokale Dienstleister leidet doppelt

Die lokalen Restaurants stehen vor einem Dilemma, das sie zwingt, die Preise anzuheben:

  • Erhöhter Preisdruck: Um die gestiegenen Lohnkosten zu decken, müssen die Preise auf der Speisekarte steigen – was die öffentliche Kritik anheizt.
  • Reduzierter Service: Wer kein Personal findet, muss die Öffnungszeiten verkürzen, Ruhetage einführen oder Tische freilassen. Das reduziert den Umsatz und erhöht den Druck, die verbleibenden Umsätze über noch höhere Preise zu erwirtschaften.

Die öffentliche Fokussierung auf die Gastronomie als Preistreiber ist unfair. Der Wirt erhöht die Preise nicht aus Gier, sondern aus ökonomischer Notwehr. Er ist ein Glied in der Kette, das unter dem Preiskampf der großen Konzerne um Arbeitskräfte leidet. Solange die Industrie und der Großhandel die Lohnspirale immer weiter nach oben treiben, wird die lokale, personalintensive Dienstleistung – und damit das kulinarische Leben in den Innenstädten – weiterhin leiden und teurer werden.