In den Gärten und auf den Wiesen hält sich hartnäckig der Glaube, dass Ordnung und Sauberkeit bis in den letzten Winkel herrschen müssen. Oft werden im Herbst oder zu Beginn des Winters alle verblühten Pflanzen radikal zurückgeschnitten. Doch diese „Aufräumwut“ mag das Auge des Gärtners befriedigen, sie ist für das Ökosystem jedoch eine verpasste Chance. Tatsächlich sind die scheinbar nutzlosen, vertrockneten Stängel vieler Wildblumen und Stauden ein unverzichtbarer Lebensraum:
Pflanzenstängel sind die Überwinterungsquartiere zahlreicher Insekten.
Die hohle Röhre als Fünf-Sterne-Hotel
Viele Insektenarten, darunter zahlreiche Wildbienen, Wespen und Käfer, sind auf die hohlen oder markhaltigen Stängel verblühter Pflanzen angewiesen. Sie nutzen diese Röhren, um die kalten Monate zu überleben.
- Die Wildbienen-WG: Einige Wildbienenarten, insbesondere die Mauerbienen, suchen gezielt nach den leeren Röhren von Königskerze (Verbascum), Disteln, Brombeeren, Schilf oder Holunder. Die Biene baut im Inneren des Stängels kleine Zellen. Jede Zelle wird mit einem Futtervorrat aus Pollen und Nektar gefüllt und mit einem Ei belegt. Danach wird die Zelle mit Lehm oder Pflanzenmaterial verschlossen. So schlüpft die nächste Generation im Frühling direkt aus ihrem Winterquartier.
- Der Schutz vor dem Frost: Der Pflanzenstängel bietet einen hervorragenden natürlichen Schutz vor extremen Temperaturen, starkem Wind und Nässe. Das Mark im Inneren mancher Stängel dient als zusätzliche Isolationsschicht.
Die goldene Regel für Naturliebhaber
Wer Wildbienen und anderen nützlichen Insekten helfen will, muss im Winter zur „faulen“ Gartenarbeit übergehen. Die goldene Regel für einen insektenfreundlichen Garten lautet:
Lassen Sie die verblühten Wildblumen und Stauden über den Winter stehen.
Die Stängel sollten erst im späten Frühjahr, etwa Ende März oder Anfang April, zurückgeschnitten werden. Zu diesem Zeitpunkt sind die meisten Insekten bereits geschlüpft und haben ihre Winterquartiere verlassen.

