Der Weihnachtsmarkt ist offiziell mehr als nur ein Event; er ist ein soziales Dekret. Kaum hat der November seine letzten Blätter fallen gelassen, beginnt das Pflichtprogramm: Erst mit der Familie, dann die Betriebsweihnachtsfeier auf dem Markt und schließlich der „gemütliche“ Abend mit Freunden. Millionen Deutsche stürzen sich in dieses Ritual, getrieben von der kollektiven Sehnsucht nach „Romantik“.
Doch mal ehrlich: Für viele ist der Weihnachtsmarkt-Besuch in Wahrheit ein Survival-Training der Unbequemlichkeit, bei dem die Romantik meist unter den Füßen zertreten wird – oder im Glühwein ertrinkt.
I. Romantik? Eher Dunkelheit und Delta-Kälte
Die erste Hürde ist das Ambiente. Wir sehnen uns nach Wintermärchen, kriegen aber meistens die Realität des mitteleuropäischen Spätherbsts:
- Die Wetter-Lotterie: Das Wetter ist selten die malerische Schneedecke, sondern eine zufällige Mischung aus feuchtem Nieselregen, aggressivem Seitenwind und einer Kälte, die direkt durch die Knochen fährt. Man steht im Dunkeln, unter einer Plastikplane, während der Geruch von nassem Hund und verbrannter Bratwurst die Nase kitzelt.
- Der „Gemütlichkeits-Faktor“: Gemütlichkeit ist, wenn man gemütlich steht. Hier herrscht meist ein architektonischer Albtraum aus Gedränge und Remplern. Man wird permanent von hinten angerempelt und spürt alle fünf Minuten einen Stiefel auf dem Zeh – was in Anbetracht der hohen Glühweinkonzentration der Umstehenden kaum überrascht.
II. Die Logistik des Leidens: Schlangen, Suche und schlechte Entscheidungen
Der Besuch auf dem Weihnachtsmarkt entpuppt sich schnell als logistisches Problem:
- Das Paradox der Schlangen: Interessanterweise existieren lange Schlangen immer nur vor den Glühweinständen. Die Abteilung „handgeschnitzte Souvenirs aus dem Erzgebirge“ hingegen ist stets so übersichtlich, dass man dort in aller Ruhe ein Nickerchen machen könnte.
- Die Jagd nach der Gruppe: Ständig sucht man seine eigene Gruppe, die im Menschenmeer verschwunden ist. Die Kommunikation erfolgt über gedämpftes Schreien, während man verzweifelt versucht, den „Glühwein-Eckstand links vom Riesenrad“ zu orten.
- Der Glühwein-Effekt: Die Hauptgetränke sind alkoholische Mischungen, deren Qualität oft so abenteuerlich ist, dass man bereits nach dem zweiten Becher eine Mischung aus unangenehmer Hitzeentwicklung im Kopf und beschwipster Unbeholfenheit verspürt. Statt Wohlbefinden stellt sich ein unbehagliches Frösteln ein, wenn der Zucker und der Alkohol schnell ihren Tribut fordern.
III. Das Toiletten- und das Jeans-Problem
Zwei essenzielle Probleme runden das Survival-Programm ab:
- Die sanitäre Krise: Aufgrund der dominanten Flüssigkeitszufuhr (siehe Glühwein-Schlangen) entwickelt sich das Toilettenproblem schnell zu einer existentiellen Krise. Die Suche nach der nächsten Dixie-Box und die damit verbundene Wartezeit sind oft der Tiefpunkt des Abends.
- Der Jeans-Fauxpas: Man schlüpft in Jeans, weil „es ja nur auf den Markt geht“. Dabei ist das Tragen von Denim bei stundenlangem, nassem Stehen im Freien eine thermische Katastrophe. Die Baumwollfaser saugt die Kälte des Abends auf wie ein Schwamm und gibt sie ungefiltert an die Oberschenkel ab – auch wenn der Kopf durch den Glühwein schon glüht. Fazit: Unten friert man, oben glüht man.
Erkenntnis für die Seelenverwandten:
Der Weihnachtsmarkt ist ein wichtiger gesellschaftlicher Test: Er trennt die hartgesottenen Traditionalisten von den realistischen Zivilisten. Er ist laut, ungemütlich und teuer. Aber hey, wir haben es überlebt! Und nächstes Jahr machen wir es garantiert… wieder.

