Tnd Pkw Ddr Automobil Moped 06

Genosse W., ein aufrechter Bürger der Deutschen Demokratischen Republik und stolzer Besitzer eines Polski Fiat 126p, liebevoll „Polak“ genannt (manchmal auch weniger liebevoll „Staubfänger erster Klasse“), kannte die Freuden und Leiden eines jeden DDR-Autofahrers nur zu gut. Die Freude: ein eigenes motorisiertes Gefährt zu besitzen, ein Statussymbol, das den Trabantfahrer neidisch machte (naja, zumindest ein bisschen). Das Leiden: die ebenso legendäre wie nervenaufreibende Ersatzteilbeschaffung. Und für seinen „Polak“, dieses italienisch-polnische Wunderwerk der Kompaktklasse, war die Jagd nach dem passenden „Bis“ oft abenteuerlicher als jede Urlaubsfahrt an den Balaton.

Stellen wir uns Genossen W. vor, wie er eines schönen Montagmorgens seinen „Polak“ starten will. Anlasser dreht, Motor hustet, aber mehr als ein trauriges Röcheln kommt nicht zustande. Diagnose: vermutlich die Zündkerzen. Eine Kleinigkeit, sollte man meinen. In der kapitalistischen Überflussgesellschaft vielleicht. In der DDR der späten 80er Jahre jedoch begann damit eine Odyssee, die locker mit der des Odysseus mithalten konnte – nur ohne Zyklopen, dafür mit unzähligen genervten Verkäufern und leeren Regalen.

Die erste Anlaufstelle: die staatliche „Fahrzeugteileversorgung“ (FVV). Genosse W. kannte das Prozedere. Zuerst das obligatorische „Guten Tag, was darf es sein?“, gefolgt vom genauen Nennen des benötigten Teils, inklusive Typnummer, Baujahr und am besten noch der exakten Mondphase bei der Erstzulassung des „Polak“. Der Verkäufer, meist eine Dame mit einer Frisur, die die Haltbarkeit der Fünfjahrespläne zu überdauern schien, blätterte dann in einem Katalog, der älter aussah als die Erfindung des Rades. Nach einer gefühlten Ewigkeit und einem tiefen Seufzer kam meist die ernüchternde Antwort: „Hamwa nich.“ Oder die beliebte Variante: „Ist bestellt, kommt vielleicht nächste Woche, vielleicht auch nicht.“

Doch Genosse W. war kein Anfänger im Überlebenskampf auf vier Rädern. Er kannte die Geheimtipps. Da gab es den „Vitamin B“-Weg. Beziehungen. Ein Onkel, der im Kraftfahrzeugkombinat arbeitete, ein Nachbar, dessen Schwager beim VEB Zündkerzenwerk Ruhla tätig war – jeder Strohhalm wurde ergriffen. Man tauschte Gefälligkeiten, lud zum „Freitagabend“ ein, und mit etwas Glück und viel Überredungskunst konnte man so an die begehrten Zündfunkengeber gelangen. Diese „unter der Hand“-Deals waren zwar offiziell verboten, aber inoffiziell die Lebensversicherung jedes „Polak“-Besitzers.

Eine weitere Quelle der Hoffnung (und oft auch der Enttäuschung) waren die „Mangelzentren“ auf den Hinterhöfen von Werkstätten. Hier lagerten oft verborgene Schätze, Überbleibsel aus besseren Zeiten oder „vom Laster gefallen“. Die Gespräche mit den dortigen „Teile-Päpsten“ waren legendär. Man musste die richtige Mischung aus Fachwissen, Beharrlichkeit und dem passenden „Tauschobjekt“ (gern gesehen: Westkaffee, Nylonstrümpfe oder eine Flasche „Echter Kroatzbeere“) mitbringen, um ihr Herz – und vor allem ihr Lager – zu erweichen.

Und dann gab es noch die abenteuerliche „Polen-Connection“. Da der „Polak“ ja quasi ein Bruder im Geiste war, hoffte man, im sozialistischen Bruderland fündig zu werden. Also packte Genosse W. seinen „Intershop“-Gutschein ein, kaufte für teures Geld ein paar Westzigaretten und machte sich auf den Weg über die Grenze. Die dortigen Märkte waren ein Eldorado an Autoaccessoires und -teilen, die in der DDR Mangelware waren. Allerdings musste man handeln wie auf einem orientalischen Basar und hoffen, dass die erstandenen Zündkerzen auch tatsächlich in den „Polak“ passten und nicht für einen Traktor oder einen Mähdrescher gedacht waren.

Manchmal half auch die pure Verzweiflung und die Kreativität, die aus der Not geboren wurde. Geschichten von findigen „Polak“-Besitzern machten die Runde, die Zündkerzen von alten Mopeds passend feilten oder Kontakte von ausrangierten Batterien recycelten. Improvisation war Trumpf, und der „Polak“ lief oft dank unkonventioneller Lösungen weiter – bis zum nächsten unerwarteten Defekt.

Die Ersatzteilbeschaffung für den Polski Fiat in der DDR war also weit mehr als nur ein Einkauf. Es war eine Mischung aus Detektivarbeit, Diplomatie, Glücksspiel und handwerklichem Geschick. Es schweißte die „Polak“-Fahrer zusammen in einer stillen Gemeinschaft des Leidens und der Hoffnung. Und wer am Ende doch noch die passenden Zündkerzen fand, der feierte diesen Triumph oft gebührend – mit einer Tasse dünnen Bohnenkaffees und dem stolzen Gefühl, dem Mangel ein weiteres Schnippchen geschlagen zu haben.