Wer an skandinavische Küche denkt, hat vielleicht Bilder von deftigen Fischgerichten, herzhaften Eintöpfen und süßen Zimtschnecken vor Augen. Doch abseits dieser Klassiker verbirgt sich eine faszinierende Welt der Aromen, die von der einzigartigen Natur der nordischen Länder geprägt ist. Während der Gewürzhandel einst ferne Schätze in den Norden brachte, kultivierte Skandinavien eine eigene Palette an Kräutern und Gewürzen, die oft subtiler, erdiger und eng mit der lokalen Flora verbunden sind. Begeben wir uns auf eine Entdeckungsreise durch diese stille, aber doch so vielfältige Aromenwelt.
Die Basis: Salz und das Erbe des Pökelns
Bevor der globale Gewürzhandel seinen Siegeszug antrat, war Salz das wichtigste „Gewürz“ in Skandinavien. Es diente nicht nur zur Geschmacksverstärkung, sondern vor allem zur Konservierung von Lebensmitteln, insbesondere Fisch und Fleisch. Das Pökeln mit Salz war eine überlebenswichtige Technik in den langen, kalten Wintern. Noch heute spielt Salz eine zentrale Rolle in vielen traditionellen skandinavischen Gerichten.
Die Ankunft der fernen Aromen: Ein Hauch von Exotik
Mit den Handelsrouten kamen auch exotische Gewürze in den Norden. Pfeffer, Zimt, Nelken, Ingwer und Kardamom wurden zu kostbaren Gütern, die zunächst den wohlhabenden Schichten vorbehalten waren und langsam in die breitere Küche Einzug hielten. Diese Gewürze prägten besonders die festliche Küche und das süße Gebäck Skandinaviens. Denken wir nur an die allgegenwärtigen Kanelbullar (Zimtschnecken) oder die aromatischen Gewürze in traditionellen Weihnachtsplätzchen (Pepparkakor in Schweden, Julekaker in Norwegen).
Das stille Gold der Natur: Heimische Kräuter und „Gewürze“
Doch die wahre Seele der skandinavischen Aromen liegt in den heimischen Kräutern und den oft unscheinbaren „Gewürzen“, die die Natur in Hülle und Fülle bereithält:
- Dill (Dill): Ein absoluter Star der skandinavischen Küche. Seine frischen, leicht anisartigen Noten passen hervorragend zu Fisch (insbesondere Lachs und Hering), Krabben, Kartoffeln, Gurkensalat und vielen hellen Saucen. Dill ist ein unverzichtbarer Bestandteil vieler traditioneller Gerichte.
- Petersilie (Persilja): Ein weiteres Allround-Talent, das frisch gehackt in Suppen, Eintöpfen, Salaten und als Garnitur verwendet wird. Seine klare, leicht erdige Frische ist ein angenehmer Kontrast zu reichhaltigeren Speisen.
- Schnittlauch (Graslök): Mit seinem milden, zwiebelartigen Aroma ist Schnittlauch ein beliebter Begleiter von Kartoffelgerichten, Eierspeisen, Salaten und Dips.
- Kerbel (Körvel): Dieses zarte Kraut mit seinem feinen, leicht süßlichen Geschmack erinnert an Anis und Lakritz. Es wird oft in delikaten Suppen, Saucen und zu Fisch verwendet.
- Liebstöckel (Libbsticka): Auch bekannt als „Maggikraut“, hat Liebstöckel einen kräftigen, würzigen Geschmack, der an Sellerie erinnert. Es wird sparsam in Suppen und Eintöpfen eingesetzt.
- Thymian (Timjan) und Rosmarin (Rosmarin): Diese mediterranen Kräuter haben ebenfalls ihren Weg in die skandinavische Küche gefunden, insbesondere zu Fleischgerichten, Kartoffeln und Wurzelgemüse. Sie werden oft getrocknet verwendet, entfalten aber auch frisch ein intensives Aroma.
- Lorbeerblatt (Lagerblad): Ein unverzichtbares Gewürz für Schmorgerichte, Suppen und Marinaden. Sein subtiler, leicht harziger Geschmack verleiht den Speisen eine angenehme Tiefe.
- Wacholderbeeren (Enbär): Diese kleinen, dunklen Beeren haben einen harzig-würzigen, leicht bitteren Geschmack und sind ein traditionelles „Gewürz“ für Wildgerichte, Sauerkraut und Marinaden. Sie verleihen dem Essen eine charakteristische nordische Note.
- Senfsaat (Senapsfrön): Senf hat in Skandinavien eine lange Tradition und wird in zahlreichen Variationen hergestellt. Die Senfsaat selbst wird zum Einlegen, für Saucen und als Gewürz verwendet.
- Kümmel (Kummin): Besonders in Brot und Käse findet Kümmel in Skandinavien Verwendung. Sein warmer, leicht herber Geschmack ist charakteristisch für viele Roggenbrote.
- Brennnessel (Nässlor): Ja, richtig gelesen! Junge Brennnesselspitzen werden in Skandinavien traditionell wie Spinat verwendet und haben einen leicht erdigen, frischen Geschmack. Sie sind reich an Vitaminen und Mineralstoffen.
- Wildkräuter und Waldaromen: In den weiten Wäldern Skandinaviens finden sich zahlreiche weitere essbare Wildkräuter und Aromen, die in der modernen nordischen Küche wiederentdeckt werden. Dazu gehören beispielsweise Bärlauch, Sauerklee, verschiedene Pilze (die oft als „natürliche Gewürze“ dienen) und sogar Baumnadeln (z.B. von Fichte oder Kiefer), die in Aufgüssen oder als Aromatisierungsmittel verwendet werden.
Die moderne nordische Küche: Eine Rückbesinnung auf das Terroir
Die „New Nordic Cuisine“ Bewegung hat in den letzten Jahren eine Renaissance der regionalen Zutaten und Aromen eingeläutet. Köche besinnen sich auf die Schätze der skandinavischen Natur und experimentieren mit traditionellen Konservierungsmethoden und ungewöhnlichen Aromenkombinationen. Wildkräuter, fermentierte Produkte und subtile erdige Noten spielen eine immer größere Rolle.
Eine stille, aber kraftvolle Aromenwelt
Die Welt der Gewürze und Kräuter in Skandinavien mag auf den ersten Blick weniger opulent erscheinen als die exotischen Gewürzrouten ferner Länder. Doch gerade in ihrer Schlichtheit und ihrer tiefen Verbindung zur nordischen Natur liegt ihre einzigartige Stärke. Von den salzigen Brisen der Küste über die würzigen Aromen der Wälder bis hin zu den warmen Noten der traditionellen Backgewürze – Skandinavien bietet eine faszinierende Palette an Aromen, die es zu entdecken gilt. Es ist eine stille, aber kraftvolle Welt, die die Seele der nordischen Küche auf subtile und doch unvergessliche Weise prägt. Beim nächsten Bissen skandinavischer Köstlichkeiten lohnt es sich, genauer hinzuschmecken und die feinen Nuancen dieser besonderen Aromenwelt zu entdecken.