In der Welt der Kulinarik gibt es eine ungeschriebene Regel: Nichts wird verschwendet. Und nirgendwo wird diese Philosophie so liebevoll und kreativ gelebt wie in Großbritannien, wo aus den Resten des Sonntagsbratens oder anderen Mahlzeiten wahre Gaumenfreuden für den nächsten Tag entstehen. Diese sogenannten „Reste-Essen“ sind nicht nur nachhaltig, sondern oft auch köstlicher und heimeliger als das Originalgericht. Sie erzählen Geschichten von Sparsamkeit, Einfallsreichtum und der tiefen Wertschätzung für gute, nahrhafte Kost.
Vergessen Sie langweilige Aufwärmaktionen – in Großbritannien werden Speisereste zu neuen, eigenständigen Gerichten, die ihren ganz eigenen Kultstatus genießen. Hier sind einige der typischsten britischen Reste-Essen:
1. Bubble and Squeak
Der Star der britischen Reste-Küche! „Bubble and Squeak“ ist das Paradebeispiel dafür, wie aus einem Sonntagsbraten (insbesondere die Gemüsebeilagen) ein neues, vollwertiges Gericht für den Montag oder Dienstag wird. Der Name soll von den Geräuschen stammen, die das Gericht beim Braten in der Pfanne macht – ein lustiges Blubbern und Quietschen.
- Typische Herkunft der Reste: Gekochte Kartoffeln (oft Kartoffelbrei), Kohl (oft Wirsing oder Weißkohl), Karotten, Erbsen und manchmal auch kleine Stücke vom Sonntagsfleisch (traditionell Rindfleisch, aber auch Lamm oder Schwein).
- Zubereitung: Alle gekochten Gemüsereste (und eventuell Fleischreste) werden grob zerdrückt oder gehackt und dann in einer Pfanne mit etwas Fett (oft Butter oder Öl) gebraten. Ziel ist es, eine knusprige Kruste zu entwickeln. Es kann als eine Art Bratling oder als loses „Hash“ serviert werden.
- Beliebte Begleiter: Oft zum Frühstück mit Spiegelei und Speck serviert, aber auch als Beilage zu gebratenem Fleisch oder Würstchen.
2. Shepherd’s Pie / Cottage Pie
Diese beiden herzhaften Aufläufe sind nicht nur britische Klassiker, sondern auch meisterhafte Reste-Essen. Obwohl sie oft verwechselt werden, gibt es einen feinen Unterschied im Fleisch, der historisch bedingt ist.
- Shepherd’s Pie (Schäfer-Pastete): Traditionell mit Lamm- oder Hammelfleisch zubereitet (daher der Schäfer).
- Cottage Pie (Hütten-Pastete): Traditionell mit Rinderhackfleisch zubereitet.
- Typische Herkunft der Reste: Ursprünglich waren es gekochte oder gebratene Reste von Lamm- oder Rindfleisch, die dann zerkleinert wurden. Heute wird oft frisches Hackfleisch verwendet, aber die Idee der Resteverwertung bleibt erhalten, indem man Reste von Bratenfleisch einarbeitet.
- Zubereitung: Das zerkleinerte (oder frische Hack-) Fleisch wird mit Zwiebeln, Karotten, Erbsen und einer kräftigen Soße (oft auf Basis von Bratenfond, Tomatenmark und Worcestershire Sauce) in eine Auflaufform gegeben. Darüber kommt eine dicke Schicht cremiger Kartoffelbrei, der im Ofen goldbraun und knusprig gebacken wird.
- Beliebte Begleiter: Pur als Hauptgericht oder mit einer einfachen Gemüsebeilage.
3. Corned Beef Hash
Dieses deftige Gericht ist ein absoluter Comfort-Food-Klassiker, besonders beliebt als Frühstück oder leichtes Abendessen. Es ist ein Paradebeispiel für die Wiederverwertung von Dosenfleisch oder gekochtem Rindfleisch.
- Typische Herkunft der Reste: Gekochtes Corned Beef (Pökelfleisch aus der Dose ist in Großbritannien weit verbreitet), oft aber auch Reste von gekochtem Rindfleisch vom Vortag.
- Zubereitung: Kartoffeln (gekocht oder roh) und Zwiebeln werden gewürfelt und in der Pfanne gebraten. Das zerdrückte oder gewürfelte Corned Beef wird hinzugefügt und alles zusammen knusprig gebraten, bis sich eine schöne Kruste bildet. Manchmal werden auch noch andere Gemüsereste (z.B. Erbsen, Karotten) oder Baked Beans untergemischt.
- Beliebte Begleiter: Klassisch mit einem Spiegelei obendrauf. Auch mit HP Sauce (einer braunen Würzsauce) oder Ketchup.
4. Faggots
Ein Gericht, das nicht jedermanns Sache ist, aber in bestimmten Regionen (besonders den Midlands und Wales) ein tief verwurzelter Teil der Küche und ein Paradebeispiel für die „Nose-to-Tail“-Verwertung ist. „Faggots“ sind im Grunde eine Art herzhafter Fleischbällchen.
- Typische Herkunft der Reste: Traditionell werden Faggots aus den „restlichen“ oder weniger begehrten Teilen des Schweins hergestellt, insbesondere Innereien wie Herz, Leber und fettem Bauchfleisch, oft mit viel Kräutern und Semmelbröseln.
- Zubereitung: Die Innereien und das Fleisch werden gehackt oder gewolft, mit Zwiebeln, Semmelbröseln und reichlich Kräutern (oft Salbei) vermischt, zu kleinen Kugeln geformt und traditionell in Schweinenetz (ein feines Fettgewebe) eingewickelt und dann gebacken. Serviert werden sie meist in einer reichhaltigen Zwiebelsoße.
- Beliebte Begleiter: Klassisch mit Kartoffelbrei (Mashed Potatoes) und Erbsen oder „Marrowfat Peas“ (eine Art dicke, grüne Erbsen).
5. Scraps (zu Fish and Chips)
Auch wenn „Scraps“ nicht unbedingt ein „Gericht“ im klassischen Sinne sind, sind sie doch ein ikonisches Beispiel für Resteverwertung im britischen Fast Food.
- Typische Herkunft der Reste: Die knusprigen, frittierten Teig- und Fett-Reste, die beim Braten von Fish and Chips im Fritteusenfett anfallen.
- Zubereitung: Es ist keine Zubereitung im eigentlichen Sinne; die „Scraps“ werden einfach direkt aus dem Fritteusentopf entnommen. Sie sind ein kostenloser oder sehr günstiger Bonus, den man zu Fish and Chips bekommt, um die Bestellung aufzufüllen und nichts zu verschwenden.
- Beliebte Begleiter: Als knusprige Ergänzung zu Fish and Chips, oft mit viel Salz und Essig beträufelt. Ein kleiner, aber feiner Genuss für Liebhaber der britischen Chip-Shop-Kultur.
Diese Gerichte sind mehr als nur Notlösungen; sie sind Ausdruck einer tiefen kulinarischen Kultur, die es versteht, aus scheinbaren Resten schmackhafte und oft sogar ikonenhafte Speisen zu kreieren. Sie sind der Beweis, dass mit ein wenig Kreativität und Geschick die besten Mahlzeiten oft die sind, die aus den „Überbleibseln“ des Vortages entstehen.