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Russland – ein Land, das kulinarisch oft auf deftige Suppen und herzhafte Hauptgerichte reduziert wird. Doch wer die russische Küche wirklich kennt, weiß: Die Salate sind die heimlichen Stars auf jeder Festtagstafel, in jeder Kantine und in fast jedem Kühlschrank. Sie sind farbenfroh, sättigend und oft überraschend komplex in ihrer Einfachheit. Viele von ihnen haben eine eigene Geschichte, die tief mit der russischen Seele und den Herausforderungen des Landes verbunden ist. Tauchen wir ein in die Welt der fünf populärsten Salate, die in Russland (und darüber hinaus in vielen postsowjetischen Staaten) den Gaumen verzaubern.

1. Olivier-Salat (Салат Оливье) – Der König der Festtafel

Wenn ein Salat einen Adelstitel verdient, dann ist es der Olivier. In vielen Ländern einfach als „Russischer Salat“ bekannt, ist er in Russland selbst der absolute Star des Neujahrsfestes und keiner wichtigen Feier.

  • Geschichte: Ursprünglich im 19. Jahrhundert vom belgischen Küchenchef Lucien Olivier im Moskauer Restaurant „Hermitage“ kreiert, war die Originalversion ein luxuriöses Gericht mit edlen Zutaten wie Haselhuhn, Kalbszunge, Flusskrebsen, Kapern und Trüffeln, verfeinert mit einer hausgemachten Mayonnaise. Über die Jahre, besonders in der Sowjetzeit, wurde das Rezept vereinfacht und an die Verfügbarkeit von Zutaten angepasst. So entstand die heute bekannte Volksvariante.
  • Zutaten (moderne Version): Gekochte Kartoffeln (gewürfelt), gekochte Karotten (gewürfelt), hartgekochte Eier (gewürfelt), eingelegte Gurken (gewürfelt), gekochte Wurst (oft „Doktorskaja Kolbasa“ – eine Art Brühwurst, gewürfelt) oder gekochtes Hühnerfleisch, grüne Erbsen (aus der Dose), und reichlich Mayonnaise. Salz und Pfeffer runden den Geschmack ab.
  • Charakteristik: Cremig, herzhaft, mit einer leicht säuerlichen Note von den eingelegten Gurken. Er ist sehr sättigend und wird oft kalt serviert.
  • Kulturelle Bedeutung: Ein absolutes Symbol für Neujahr und festliche Anlässe. Eine russische Familie ohne Olivier-Salat am Neujahrstisch? Undenkbar!

2. Vinaigrette (Винегрет) – Die farbenfrohe Rote-Bete-Komposition

Obwohl der Name französisch klingt („Vinaigrette“ für die Essig-Öl-Soße), ist dieser Salat eine rein russische Erfindung, die keinerlei französische Sauce, sondern eher eine nordische Wurzel hat.

  • Geschichte: Vermutlich der älteste der populären russischen Salate, der bereits im 19. Jahrhundert weit verbreitet war. Der Name leitet sich kurioserweise vom französischen Wort für Essigdressing ab, obwohl er typischerweise mit einfachem Pflanzenöl (oft Sonnenblumenöl) und Essig oder Gurkenlake angemacht wird.
  • Zutaten: Gekochte rote Bete (gewürfelt – sie gibt dem Salat seine charakteristische rote Farbe), gekochte Kartoffeln (gewürfelt), gekochte Karotten (gewürfelt), eingelegte Gurken (gewürfelt), Zwiebeln (fein gehackt), und oft Sauerkraut oder gekochte Bohnen. Angemacht wird er mit Pflanzenöl und Essig oder Gurkenlake, Salz und Pfeffer.
  • Charakteristik: Süßlich-erdig durch die Rote Bete, säuerlich-salzig durch die eingelegten Komponenten, und angenehm stückig in der Textur. Er ist vegan und somit auch in Fastenzeiten sehr beliebt.
  • Kulturelle Bedeutung: Ein beliebter Salat für jeden Tag, aber auch ein fester Bestandteil von Festtagstafeln, besonders zu Neujahr und Feiertagen.

3. Schuba (Селёдка под шубой) – Hering im „Pelzmantel“

Dieser Salat ist ein visuelles und geschmackliches Spektakel und sein Name ist so russisch wie ein kalter Wintermorgen: „Hering unterm Pelzmantel“.

  • Geschichte: Die Ursprünge dieses geschichteten Salats sind nicht vollständig geklärt, aber er gewann in der Sowjetzeit an enormer Popularität, insbesondere ab den 1960er Jahren. Eine populäre, wenn auch anekdotische Legende besagt, dass er 1918 von einem Moskauer Gastwirt erfunden wurde, um seine Gäste vor übermäßigem Wodkakonsum zu schützen, indem die deftigen Zutaten den Alkohol aufsogen. Der Name „SHUBA“ soll dabei sogar ein Akronym für „Шовинизму и Упадку – Бойкот и Анафема“ (Chauvinismus und Verfall – Boykott und Anathema) gewesen sein, um die Ideale der Revolution zu symbolisieren.
  • Zutaten: Eine unterste Schicht aus gewürfeltem, gesalzenem Hering bildet die Basis. Darüber werden Schichten von gekochten und geraspelten Kartoffeln, Zwiebeln (oft blanchiert, um die Schärfe zu nehmen), Karotten und gekochter roter Bete geschichtet. Jede Schicht wird großzügig mit Mayonnaise bestrichen. Oft wird die oberste Schicht mit geraspeltem, hartgekochtem Eigelb garniert, was an die feine Textur eines Pelzmantels erinnern soll.
  • Charakteristik: Eine einzigartige Kombination aus salzigem Hering, süßlicher Rote Bete, erdigen Kartoffeln und der Cremigkeit der Mayonnaise. Ein umami-reiches Geschmackserlebnis.
  • Kulturelle Bedeutung: Ein ikonisches Gericht, das besonders zu Neujahr und anderen großen Feiern wie Geburtstagen nicht fehlen darf. Es ist ein optischer Blickfang und ein herzhaftes Vergnügen.

4. Mimosa-Salat (Салат Мимоза) – Die zarte Blumenpracht

Der Mimosa-Salat verdankt seinen Namen der feinen Schicht aus geraspeltem Eigelb, die auf der obersten Schicht verteilt wird und an die zarten, gelben Blüten der Mimose erinnert.

  • Geschichte: Dieser Salat entstand ebenfalls in der Sowjetzeit, vermutlich in den 1970er oder 80er Jahren, als eine leichte und optisch ansprechende Alternative zu den deftigeren Salaten. Er wurde schnell zu einem Symbol für festliche Anlässe und Frauenfeiern.
  • Zutaten: Auch der Mimosa-Salat ist ein Schichtsalat. Er beginnt oft mit einer Schicht aus zerdrücktem Dosenfisch (Lachs, Makrele oder Saury sind typisch), gefolgt von fein gehackter Zwiebel, gekochten und geraspelten Karotten, gekochten und geraspelten Kartoffeln oder Reis, und gekochtem Eiklar (ebenfalls geraspelt). Jede Schicht wird mit Mayonnaise bestrichen. Die oberste Schicht besteht aus dem fein geraspelten Eigelb, das wie Blütenstaub darüber gestreut wird. Manchmal wird auch eine Schicht geriebene Butter oder Käse hinzugefügt.
  • Charakteristik: Zarter im Geschmack als Schuba oder Olivier, mit einer angenehmen Fischigkeit und der Cremigkeit der Mayonnaise. Die Textur ist weicher und feiner.
  • Kulturelle Bedeutung: Beliebt für besondere Anlässe, Familienfeiern und ist oft auf dem Tisch zum Internationalen Frauentag am 8. März zu finden.

5. Stolitschny-Salat (Салат Столичный) – Die Hauptstadt-Variante

Der Stolitschny-Salat, oft als „Hauptstadt-Salat“ übersetzt, ist eng mit dem Olivier-Salat verwandt und wird manchmal sogar mit ihm verwechselt oder als dessen Variante angesehen.

  • Geschichte: Der Stolitschny-Salat entwickelte sich als eine direkte Abwandlung des Olivier-Salats, insbesondere in der Nachkriegszeit in der Sowjetunion. Die wesentliche Unterscheidung lag in der Proteinkomponente: Während Olivier oft Wurst oder eine Mischung aus Fleisch enthielt, wurde für Stolitschny explizit gekochtes Hühnerfleisch verwendet, was ihm eine etwas „elegantere“ Note verlieh.
  • Zutaten: Gekochtes Hühnerfleisch (gewürfelt), gekochte Kartoffeln (gewürfelt), gekochte Karotten (gewürfelt), hartgekochte Eier (gewürfelt), eingelegte Gurken (gewürfelt), frische Gurken (gewürfelt), und grüne Erbsen. Auch hier wird alles mit Mayonnaise angemacht. Manchmal werden auch grüne Äpfel für eine fruchtige Note hinzugefügt.
  • Charakteristik: Ähnlich dem Olivier, aber mit einem leichteren Geschmacksprofil durch das Hühnerfleisch und oft die Zugabe von frischer Gurke. Die Textur ist ebenfalls cremig und stückig.
  • Kulturelle Bedeutung: Ebenfalls ein fester Bestandteil von Feierlichkeiten, er galt oft als die etwas „gehobenerer“ oder „städtischere“ Version des Olivier-Salats.

Diese fünf Salate sind nicht nur Gerichte, sondern ein Stück russischer Kultur und Geschichte. Sie erzählen von Anpassung, Einfallsreichtum und der Freude am gemeinsamen Essen, selbst unter schwierigen Bedingungen. Und wer sie einmal probiert hat, wird verstehen, warum sie einen festen Platz in den Herzen (und Mägen) der Russen haben.