Im Reisekatalog steht „Exotische Gaumenfreuden!“ Was sie dann im Urlaub erleben, wäre zu Hause noch nicht mal zulässig. Andere Länder….
Liebe Fernweh-Geplagte und Foodie-Abenteurer, aufgepasst! Ihr kennt das Spiel: Der Reiseveranstalter malt euch die kulinarische Seele Asiens in den schillerndsten Farben aus. „Exotische Gaumenfreuden!“, „Authentische Geschmackserlebnisse!“, „Ein Fest für die Sinne!“ – die Superlative purzeln nur so. Und dann steht ihr da, an einem dampfenden Garküchenstand, umgeben von einem Duftmix, der zwischen „faszinierend“ und „alarmiend“ oszilliert, und fragt euch: War das mit dem „Fest für die Sinne“ vielleicht etwas… äh… interpretierungsbedürftig?
Denn die Realität des asiatischen Streetfoods, so authentisch und geschmacklich oft umwerfend sie auch sein mag, hat mit unseren hiesigen peniblen Hygienevorstellungen manchmal so viel gemeinsam wie ein Panda mit einem Staubsaugervertreter. Da wird das Hühnchenspießchen auf einem Holzkohlegrill gewendet, der seit der Erfindung des Rades nicht mehr gereinigt wurde, die Nudelsuppe in einer Schüssel serviert, die vorher mit einem fragwürdigen Lappen „gesäubert“ wurde, und die ewig gleichen Hände, die gerade noch das Wechselgeld gezählt haben, belegen im nächsten Moment euren knusprigen Insekten-Snack.

Und hier kommt der interessante Teil: Während wir zu Hause bei der kleinsten Unregelmäßigkeit in unserem Lieblingsrestaurant – ein Staubkorn auf dem Teller, ein leicht angetrockneter Soßenrand – sofort die Bewertungsportale glühen lassen und mit vernichtenden Kommentaren um uns werfen („Unzumutbar!“, „Hygienische Katastrophe!“, „Nie wieder!“), mutieren wir im fernen Osten plötzlich zu abgehärteten Indiana Jones der Geschmacksknospen.
Da wird der skeptische Blick auf den verdächtig aussehenden Wok mit einem Schulterzucken abgetan („Ach, das gehört hier so!“), die fragwürdige Lagerung der Lebensmittel in der prallen Sonne als „charmant rustikal“ abgetan und der Umstand, dass der Koch seine Nase während der Zubereitung nicht gerade mit einem Desinfektionstuch abwischt, als „Teil des authentischen Erlebnisses“ verklärt.
Warum diese plötzliche Toleranz gegenüber Praktiken, die hierzulande einen sofortigen Besuch des Gesundheitsamtes nach sich ziehen würden? Liegt es an der Exotik-Brille, durch die wir die Welt betrachten? Verleiht uns das ferne Land eine Art kulinarischen Immunitätsbonus? Oder sind wir einfach so euphorisch, etwas „Authentisches“ zu erleben, dass wir unsere kritischen Bewertungsstandards kurzerhand im Koffer verstauen?

Man könnte ja fast meinen, wir unterliegen einer Art „Exotik-Entschuldigungs-Effekt“. Was fern ist und „anders“, das darf scheinbar auch mal ein bisschen… äh… „anders hygienisch“ sein. Hauptsache, die Story für die Daheimgebliebenen ist gut und das Instagram-Foto vom dampfenden Streetfood-Stand sieht abenteuerlich aus.
Dabei ist es doch eigentlich paradox. Unser Magen hat schließlich keine Ländergrenzen. Salmonellen und Co. machen keinen Unterschied, ob sie uns in einer piekfeinen Sterneküche oder an einer improvisierten Garküche in Bangkok heimsuchen. Trotzdem scheinen wir bereit, im Urlaub deutlich mehr Risiken einzugehen – vielleicht getrieben von der Angst, etwas „Authentisches“ zu verpassen, oder schlichtweg überwältigt von den neuen Eindrücken.
Vielleicht sollten wir uns alle mal kurz innehalten und uns fragen: Würde ich diese Zubereitungsmethode oder diesen Hygienestandard in meinem Lieblingsimbiss um die Ecke tolerieren? Wenn die Antwort „eher nicht so“ lautet, dann sollten wir vielleicht auch im Urlaub unsere inneren Hygiene-Sheriffs nicht komplett in den Ruhestand schicken.
Trotzdem, und das sei fairerweise gesagt, birgt das Streetfood in Fernost oft auch einen unschlagbaren Charme und Geschmack, der durch keine sterile Hochglanzküche ersetzt werden kann. Es ist ein Balanceakt zwischen Abenteuerlust und gesundem Menschenverstand, zwischen dem Wunsch nach Authentizität und dem Bedürfnis nach einem Magen, der auch nach dem Urlaub noch funktioniert.
Vielleicht ist die Lösung ja, sich mit offenen Augen (und vielleicht einer Packung Desinfektionstücher im Gepäck) auf das kulinarische Abenteuer einzulassen, die lokalen Gepflogenheiten zu respektieren und gleichzeitig auf sein Bauchgefühl zu hören – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn am Ende des Tages ist das beste Souvenir einer Reise immer noch ein glücklicher Magen und nicht die Erinnerung an eine unvergessliche Begegnung mit den lokalen Mikroorganismen. In diesem Sinne: Guten Appetit – und möge die Macht der Magenbakterien mit euch sein!